Am 9. August 2021 wurde der erste Teil des Sechsten Sachstandsberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlicht. Er trägt den Titel “Climate Change 2021: The Physical Science Basis” und vermittelt den aktuellen Wissensstand zum Klimawandel. Die wichtigste Botschaft: Der Klimawandel wird schneller und folgenschwerer verlaufen als bisher angenommen. Es gibt keine Zweifel an der anthropogenen Verursachung der Erderhitzung. 

Mit neuen Daten und wissenschaftlichen Beobachtungen wurden aktuelle Klimasimulationen durchgeführt. Die Hauptaussagen kann man hier nachlesen. Sie zeigen der Weltöffentlichkeit in wiederkehrender Deutlichkeit, wie die Zukunft auf unserem Planeten aussehen wird, wenn die Treibhausgasemissionen nicht gestoppt werden. Viele Veränderungen werden irreversibel sein. Katastrophen und extreme Schadensereignisse werden das neue “Normal”. Die Wissenschaftler konzentrierten sich darauf, wann die Welt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit das Erwärmungsniveau von 1,5 ° C und 2 ° C überschreiten wird. Sie gehen davon aus, dass die Welt die 1,5 °-Grenze in den frühen 2030er Jahren erreichen wird, wenn keine raschen Emissionsminderungen vorgenommen werden. Noch im Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung – SR1.5 aus 2018 ging man davon aus, dass die 1,5 °C wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052 erreicht werde, wenn die Erwärmung mit der damals aktuellen Geschwindigkeit weiter zunehme. Die Vorhersagen werden offensicher immer präziser und nehmen an Dramatik zu.

Im fünften Sachstandsbericht aus dem Jahr 2013 (hier ein Download-Link zum IPCC-Bericht von den Internetseiten des Bundesumweltministeriums!) hatte der IPCC vier Pfade beschrieben, denen verschiedene Treibhausgaskonzentrationen und eine Reihe miteinander kombinierter Variablen zur Erderwärmung zugrunde lagen (kurz: “RCP für „representative concentration pathways“). Anhand umfangreicher Daten wurden Klimamodelle berechnet, die Voraussagen zur Klimaänderung treffen sollten. Auch Emissionen (einschließlich aller Rückkopplungen des Kohlenstoffkreislaufs) flossen in die Betrachtungen mit ein. 

Im neuen sechsten Sachstandsbericht erweitert der IPCC seine Betrachtungen um Sozioökonomiepfade (kurz: SSP für „shared socioeconomic pathways“) und wird sie in dem für das nächste Jahr angekündigten weiteren Teilen des Berichts fortführen. In den SSPs werden jeweils unterschiedliche Prognosen zur Emissionsminderung, zum Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, zu technologischen und zu geopolitischen Trends verarbeitet. Denn all diese Aspekte beeinflussen sowohl den Emissionsausstoß als auch die Fähigkeit, ihn zu reduzieren und sich an den resultierenden Klimawandel anzupassen. 

Die SSPs wurden mit den Klimamodellen aus den RCP-Szenarien kombiniert und sollen nun geeignet sein, je nach Randbedingungen extrapolierte Voraussagen für das 21. Jahrhundert zu liefern. Damit entsteht eine enorme Informations-Bandbreite über Einflussfaktoren und Möglichkeiten, die politische Entscheidungsträger vor komplexe Herausforderungen stellen. 

Der Weltklimarat hat einen Kernsatz von fünf Szenarien gebildet, die ineinander übergehen und unter bestimmten sozioökonomischen Betrachtungen verschiedene Treibhausgas- und Luftschadstoffpfade abbilden sollen. Darunter sind zwei relativ engagierte nachhaltige Szenarien (SSP1-1,9 und SSP1-2,6), ein Szenario mit zunehmender regionaler Rivalität  (SSP2-4,5), eine düstere Zukunftsvision mit Ungleichheiten (SSP3-7,0) und ein apokalyptisches, fossil befeuertes Szenario (SSP5-8,5) - alle mit jeweils unterschiedlichen Randbedingungen. Die Durchführbarkeit oder Wahrscheinlichkeit einzelner Szenarien war nicht Teil der IPCC-Bewertung, da sie auf der Klimareaktion einer Vielzahl von Emissionsszenarien konzentrieren. Sie dienen hauptsächlich der Erforschung der Dimensionen der Luftverschmutzung oder der  vorübergehenden Überschreitung eines bestimmten Erwärmungsniveaus.

(In die nachfolgenden Darstellungen der einzelnen SSPs sind neben den Erkenntnissen im Sechsten Sachstandsbericht auch die Erläuterungen des Klimawissenschaftlers Dr. Zeke Hausfather eingeflossen.) 

 

Das nachhaltige Szenario (SSP1-1,9)

In diesem Szenario geht es darum, möglichst viel Klimaschutz bei niedrigen Emissionen durchzusetzen. Dadurch wird die Erderwärmung auf unter 2 °C begrenzt. 

Die Welt verändert sich allmählich, aber durchdringend, hin zu einem nachhaltigeren Weg und betont eine inklusivere Entwicklung, die die wahrgenommenen Umweltgrenzen respektiert. Die Bewirtschaftung der globalen Gemeingüter verbessert sich langsam, Investitionen in Bildung und Gesundheit beschleunigen den demografischen Wandel, und der Schwerpunkt auf Wirtschaftswachstum verlagert sich hin zu einer breiteren Betonung des menschlichen Wohlergehens. Angetrieben durch ein zunehmendes Engagement für die Erreichung von Entwicklungszielen wird die Ungleichheit sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder verringert. Der Verbrauch orientiert sich an geringem Materialwachstum und geringerer Ressourcen- und Energieintensität. 

In diesem und den folgenden Szenarien geht man davon aus, dass häufige Extremwetterereignisse zum Alltag gehören. Diese optimistische Szenario erscheint außerdem in Anbetracht des aktuellen, schneckenartigen Tempos beim weltweiten Klimaschutz momentan unrealistisch, aber das könnte sich durchaus ändern. Die ökonomischen und ökologischen Vorteile der Erneuerbaren Energien liegen ebenso auf der Hand wie die zahlreichen Möglichkeiten, durch Rückholung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre unsere Böden, die Wälder und die Baustoff- und chemische Industrie zu bereichern. Eine schneller Umstieg auf Null-Emissionen wäre der Schlüssel zur Gefahrenabwehr.

Wie die IPCC-Prognosen in diesem Szenario zu dem verbleibenden Treibhausgasbudget passen, das der IPPC auch in diesem aktuellen Sachstandsbericht unterstellt, ist schwer zu überblicken. Denn bei der wahrscheinlichsten Betrachtung (83%ige Sicherheit) wäre das Budget von 300 Gt CO2 bereits in 7 Jahren erschöpft, wenn die Treibhausgasminderung im Vergleich zu 2019 nicht umgesetzt werden (siehe Absatz unten).

 

Das mäßig nachhaltige Szenario (SSP1-2,6)

Die Welt folgt einem Weg, auf dem sich soziale, wirtschaftliche und technologische Trends nicht merklich von historischen Mustern entfernen. Entwicklung und Einkommenswachstum verlaufen ungleichmäßig, wobei einige Länder relativ gute Fortschritte machen, während andere hinter den Erwartungen zurückbleiben. 

Globale und nationale Institutionen arbeiten auf die Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele hin, kommen aber nur langsam voran. Umweltsysteme unterliegen einer Verschlechterung, obwohl es einige Verbesserungen gibt und die Intensität des Ressourcen- und Energieverbrauchs insgesamt abnimmt. Das weltweite Bevölkerungswachstum ist moderat und flacht in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ab. Die Einkommensungleichheit bleibt bestehen oder verbessert sich nur langsam, und es bestehen weiterhin Herausforderungen, die Anfälligkeit für gesellschaftliche und ökologische Veränderungen zu verringern. 

 

Das Szenario der regionalen Rivalität  (SSP2-4,5)

Hier wird angenommen, dass alle Treibhausgasemissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf einem hohen Niveau verharren, erst danach werden sie sinken. Das hat zur Folge, dass die Erde sich bis Ende des Jahrhundert um 2,7 °C erwärmt. 

Ein wiederauflebender Nationalismus, Sorgen um Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit sowie regionale Konflikte zwingen die Länder, sich zunehmend auf inländische oder allenfalls regionale Fragen zu konzentrieren. Die Politik verändert sich im Laufe der Zeit und orientiert sich zunehmend an nationalen und regionalen Sicherheitsfragen. Die Länder konzentrieren sich auf die Erreichung von Energie- und Ernährungssicherheitszielen in ihren eigenen Regionen auf Kosten einer breiter angelegten Entwicklung. Investitionen in Bildung und technologische Entwicklung gehen zurück. 

Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft langsam, der Konsum ist materialintensiv, und die Ungleichheiten bleiben bestehen oder verschlimmern sich im Laufe der Zeit. In den Industrieländern ist das Bevölkerungswachstum geringer als in den Entwicklungsländern. Eine geringe internationale Priorität bei der Bewältigung von Umweltbelangen führt in einigen Regionen zu einer starken Umweltzerstörung. 

Betrachtet man die aktuellen sozioökonomischen Entwicklungen, so könnte dieses Szenario der politischen Realität leider am nächsten kommen. 

 

Das Szenario der zunehmenden Ungleichheiten (SSP3-7,0)

Die CO2-Emissionen steigen im Laufe des Jahrhunderts weiter an. Ende 2100 verzeichnet die Erde eine globale Erhitzung um 3,6 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Extremwetterlagen, Dürren und Fluten gehören zum Alltag. Sie treten fast jedes Jahr auf. Die Wirtschaftskraft stagniert und der soziale Fortschritt wird unmöglich.

Schichtungen sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder. Im Laufe der Zeit vergrößert sich die Kluft zwischen einer international vernetzten Gesellschaft, die zu wissens- und kapitalintensiven Sektoren der Weltwirtschaft beiträgt, und einer fragmentierten Ansammlung von einkommensschwächeren, schlecht ausgebildeten Gesellschaften, die in einer arbeitsintensiven, technologiearmen Wirtschaft arbeiten. 

Der soziale Zusammenhalt verschlechtert sich und Konflikte und Unruhen werden immer häufiger. Die technologische Entwicklung ist in der Hightech-Wirtschaft und in den Sektoren hoch. Der global vernetzte Energiesektor diversifiziert sich mit Investitionen sowohl in kohlenstoffintensive Brennstoffe wie Kohle und unkonventionelles Öl als auch in kohlenstoffarme Energiequellen. Die Umweltpolitik konzentriert sich auf lokale Probleme in Gebieten mit mittlerem und hohem Einkommen. 

 

Das apokalyptische, fossil befeuerte Szenario (SSP5-8,5

Die Menschheit verdoppelt den Bedarf an fossilen Brennstoffen durch einen energieintensiven Lebensstil. Bis Ende des Jahrhunderts erwärmt sich die Erde um unvorstellbare 4,4 °C. An vielen Orten ist kein Leben mehr möglich. 

Es gibt einen Drang nach wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung mit der Ausbeutung noch vorhandener fossiler Brennstoffressourcen und der Einführung eines ressourcen- und energieintensiven Lebensstils auf der ganzen Welt. 

Da hochindustrielle Staaten derzeit einen Ausstieg aus der fossilen Verbrennung vorbereiten, ist es wahrscheinlich, dass es - schon aufgrund knapper werdender Kohlevorkommen - kaum eine umfassende Renaissance der Kohleindustrie geben wird. Das Szenario wird also mit großer Wahrscheinlichkeit Fiktion bleiben. Dennoch ist die Betrachtung wichtig, denn Rückkopplungen im Klimasystem – wie etwa ein plötzlicher Anstieg von CO2- oder Methanemissionen durch das Auftauen des Permafrosts – könnten die Welt in ein ähnliches Worst-Case-Szenario stürzen.

 

Der IPCC und das CO2-Budget

 

Die Betrachtung des Treibhausgasbudgets spielt auch im neuen Sachstandsbericht eine zentrale Rolle. Dabei zeigt die Klimakrise schon länger ihr brutales Gesicht. Kein Tag ist mehr frei von Extremwetterereignissen, Dürren und Stürmen. Die Erderhitzung fordert Todesopfer, zerstört menschliche Existenzen und stürzt die Biosphäre in einen einzigen Ausnahmezustand. 

Um die Erderhitzung auf 1,5 °C zu begrenzen, hat der Weltklimarat wiederholt errechnet, wieviel Gt CO2 ab Anfang 2020 noch ausgestoßen werden dürfen (“CO2-Budget”): 

Status Quo sind die Emissionen von 1850–2019. Hier wurden insgesamt 2390 ± 240 Gt CO2 anthropogenen Ursprungs emittiert. Die globale Erwärmung betrug in dieser Zeit 1,07 °C (wahrscheinliche Abweichung von 1,07 °C von 0,8 - 1,3 °C). Wollte man die Erderhitzung auf maximal 1,5 °C beschränken, wären laut IPCC noch folgende Emissionsmengen möglich. (Die Prozentzahlen verdeutlichen die Wahrscheinlichkeit der Prognose).

 

17 %    

33 %    

50 %     

67 %     

83 %  

900 Gt CO2    

650 Gt CO2     

500 Gt CO2     

400 Gt CO2    

300 Gt CO2  

 

Zum Vergleich: Allein 2019 wurden 43 Gt CO2 emittiert. 2018 waren es noch 42 Gt, im CORONA-Jahr 2020 allerdings nur 39 Gt. Bei dem “Budget” von 300 Gt CO2 hätten wir - die Zahlen aus 2019 angesetzt - ab Anfang 2020 nur noch knapp 7 Jahre, um die Erderhitzung auf 1,5 °C zu begrenzen. Alles mit 83 % iger Wahrscheinlichkeit. Setzt man auf eine Risikobewertung (67%), so verlängert sich das Treibhaushausgasbudget - unter der Annahme anhaltend hoher Emissionen aus 2019 - auf 9 Jahre und 3 Monate. Die 1,5°-Erhitzung wäre noch vor 2030 erreicht.

Globale Nullemissionen in weniger als einer Dekade sind trotz vorhandener Technik und genügend Potentialen unrealistisch geworden. Dennoch sollte dies die Zielmarke sein, die so wenig wie möglich verfehlt werden darf. Wir dürfen beim Fossilausstieg keine Zeit verstreichen lassen und zugleich massiv auf die Rückholung von Treibhausgasen setzen - in Deutschland und weltweit. Der klimaschädliche Pfad muss dringend verlassen werden.