Die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien haben wir in einem früheren Beitrag im Hinblick auf ihre Klimapolitik untersucht.[1] Es gibt jedoch noch viele weitere Bewerber. Insgesamt sind 53 Parteien zur Bundestagswahl am 26. September zugelassen.[2]  Den Service, die Programme aller dieser Parteien auszuwerten, können wir nicht anbieten. Dafür sei auf den klassischen Wahl-O-maten der Bundeszentrale für Politische Bildung verwiesen. Er wird am 2. September freigeschaltet werden.[3] 

Wir möchten hier nur zwei interessante Parteien herausgreifen, die von ihrem Ansatz her der Klimapolitik einen bedeutenden Stellenwert einräumen: die Klimaliste und die ÖDP.

 

Klimaliste

 

Die „Klimaliste Deutschland“ ist aus der Fridays-for-Future-Bewegung hervorgegangen und dementsprechend noch sehr jung. Sie hat zur Bundestagswahl keine Landeslisten aufgestellt und ist daher nicht mit der Zweitstimme wählbar. In einem guten Dutzend Wahlkreise in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kandidieren Direktbewerber*innen. Dementsprechend gibt es auch kein Wahlprogramm der Klimaliste, sondern lediglich mehr oder weniger kurze Statements der jeweiligen Kandidat*innen. Aus diesen spricht dieselbe Forderung, die auch der SFV vertritt: Die „Bundestagswahl muss zur Klimawahl werden“.[4] Konkrete Forderungen finden sich in der Selbstdarstellung der Direktkandidatin Friederike Benjes (Heidelberg): „Ich setze mich dafür ein, dass wir bis 2025 zu 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen“.[5] Dies ist ein äußerst ehrgeiziger Ansatz, den man jedoch nach den jüngsten Klimaereignissen und dem neuen IPCC-Bericht nicht mehr belächeln sollte.

Die Klimaliste hat im Juni 2021 ein “Gründungsprogramm”[6] vorgelegt, in dem das Ziel formuliert wird, Deutschland in “spätestens zehn Jahren” klimaneutral zu machen. Für den Ausstoß von Treibhausgasen wird ein Preis von 195 Euro je Tonne CO2-Äquivalent gefordert. Im Zuge der beschleunigten Energiewende soll “die jährliche Zubaurate für Wind und PV etwa auf das 5-7-fache gesteigert werden”. In der Verkehrspolitik wird die Förderung von öffentlichem Personen- und Radverkehr und das Ende der “Bevorzugung von LKW und PKW in der Verkehrsplanung” mit einem städtebaulichen Konzept der “kurzen Wege” verknüpft. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sollen ab 2025 nicht mehr zugelassen werden. Auch beim Gebäudesektor wird durch “konkrete Sanierungsfahrpläne” die Klimaneutralität 2030 angestrebt.

Durch dieses Programm wird die pragmatische Kompromissbildung der Grünen aus einer radikalen ökologischen Richtung kritisiert. Dies täte in unserem politischen Koordinatensystem bitter not. Jedoch zeigt der noch geringe Organisierungsgrad der Klimaliste, und die bescheidenen Erfolge, die sie bei ihren bisherigen Kandidaturen errungen haben, dass diese Stimme auch am 26. September eher leise bleiben dürfte.

 

ÖDP

 

Im Gegensatz zur Klimaliste existiert die „Ökologisch-Demokratische Partei“ (ÖDP) bereits seit 1982. Sie entstand zunächst als Rechts-Abspaltung der Grünen, hat seitdem aber eine wechselvolle Entwicklung genommen, auch programmatisch. Sie verfügt über ein Mandat im Europäischen Parlament und ist in einigen Regionen Deutschlands (vor allem in Bayern) kommunalpolitisch nennenswert vertreten. Bei Landtags- und Bundestagswahlen ist sie jedoch nie in die Nähe der 5 Prozent Wählerstimmen gekommen, die für einen Einzug in die Parlamente meist nötig sind.

Die ÖDP hat ein Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 vorgelegt, das klimapolitisch eigentlich kaum Wünsche offenlässt. In dem im Telegrammstil gehaltenen Text steht die Forderung ganz oben: „Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels durch Klimaneutralität bis 2030 und anschließende Senkung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre unter 350 ppm, um die Gefahr einer Heißzeit abzuwenden.“[7] Hierfür soll „mit umweltverträglichen Methoden“ wie Humusaufbau und Pflanzenkohle-Techniken CO2 der Atmosphäre entzogen werden. Der Kohleausstieg soll „deutlich vor 2030“ beendet sein und die Energieversorgung bis 2030 vollständig auf erneuerbare Quellen umgestellt werden. Dabei soll die Kopplung der Sektoren helfen.

Im Bereich der Verkehrspolitik fordert die ÖDP eine Halbierung des PKW-Verkehrs bis 2035 und ein Verbot der Neuzulassung von PKW mit Verbrennungsmotoren ab 2025. Ferner ein Verbot von Kurzstreckenflügen unter 700 km. Die klimafreundlicheren Alternativen sollen großzügig gefördert werden.

Das klimapolitische Programm, das hier nur beispielhaft zitiert wurde, steht den Positionen des SFV deutlich näher als das irgendeiner größeren Partei. Die anderen Kapitel des Wahlprogramms werden hier nicht berücksichtigt.

 

Fazit

 

Wenn Klimapolitik das entscheidende Thema bei der kommenden Bundestagswahl ist – und das muss es sein! – dann stehen wir vor der Einsicht, dass das Gründungsprogramm der Klimaliste und das Wahlprogramm der ÖDP allen im Bundestag etablierten Parteien – also auch den Grünen und den Linken – haushoch überlegen sind. Man wird sich an der Wahlurne jedoch die Frage stellen, ob man die Zweitstimme einer Partei gibt, die höchstwahrscheinlich nicht den Sprung über die 5%-Hürde schaffen wird. Ich meine: Keineswegs muss eine solche Stimme als „verschenkt“ gelten, denn auch der Achtungserfolg einer Kleinpartei kann das parlamentarische System von außen unter einen gewissen Druck setzen. Ob man allerdings riskieren will, dass im Parlament das Gewicht jener Parteien überhand nimmt, die eine Klimaneutralität erst 2045 (CDU/CSU, SPD) oder gar 2050 (FDP) anstreben, ist eine schwer zu beantwortende taktische Frage.

Egal, ob man diese Frage zugunsten des attraktiveren Programms oder zugunsten der sicheren Vertretung im Parlament beantwortet: Die politische Erfahrung lehrt, dass für uns die wichtigere Arbeit nach der Wahl auf uns wartet. Dann wird sich entscheiden, ob wir als Zivilgesellschaft der Lobby der Klimakiller-Industrien erlauben werden, weiter das politische System in ihrem zerstörerischen Sinne zu beeinflussen – oder ob wir selbst den größeren Druck ausüben, in Richtung Erhalt der menschlichen Zivilisation.

 

Nachtrag

 

Nach der Veröffentlichung des obenstehenden Textes wurden wir darauf hingewiesen, dass es weitere kandidierende Parteien gibt, deren klima- und energiepolitisches Programm dem aller im Bundestag vertretenen Parteien überlegen ist. Dieser Hinweis trifft zu.

So heißt es im Wahlprogramm der europäischen Partei VOLT[8] zum Tempo der Energiewende: „Deutschland erreicht bis 2035 CO2- und 2040 Klimaneutralität.“ Zur Energiewende findet sich dort folgende Forderung: „Wir steigen bis spätestens 2030 aus der Kohleverstromung aus. Bereits 2025 soll der Ausstieg aus der Nutzung der Braunkohle erfolgen. Ein ambitionierter CO2-Preis ist dafür die Grundlage.“ Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll durch Ausweitung der Ausschreibungen auf „25 bis 30 Gigawatt pro Jahr“ geschehen, wobei nicht nur das Ausschreibungsverfahren zum Stirnrunzeln einlädt, sondern auch die Aufteilung dieser Menge auf 30% PV, 30% Onshore-Wind und satte 40% Offshore-Windkraft. Im Verkehrsbereich plädiert VOLT dafür, „den Einsatz von fossilen Kraftstoffen in allen Fahrzeugen ab 2035 zu verbieten“; dabei geht man davon aus, dass die Verbrennungsmotoren dann aufgrund der hohen Preise synthetischer Kraftstoffe von selbst vom Markt verschwinden. Man hätte sich allerdings durchaus eine frühere Jahreszahl für diesen Schritt denken können.

Die Piratenpartei[9] fordert „eine konsequente und schnelle Energiewende bis 2035“. Im Stromsektor sollen die 100% bis 2030 erreicht werden. Der Kohleausstieg soll 2024 abgeschlossen sein, ein sofortiger Stopp des Abbaggerns „neuer Gebiete“ wird gefordert. Die Piraten betonen, dass die Energiewende auf dezentrale Netz- und Versorgungsstrukturen zielen solle. Für das Energiesystem der Zukunft wird die Photovoltaik als „Arbeitspferd der Energiewende“ und die Windenergie als „gute Ergänzung zur PV“ betrachtet, ohne dass konkrete Ausbauziele formuliert werden. Im Verkehrssektor, der durch Digitalisierung völlig neu vernetzt werden soll, wird der Verbrennungsmotor als „veraltete Technologie“ beschrieben, aber keine konkreten Maßnahmen zum Ausstieg aus dieser Technologie genannt.

Man sieht auch an diesen, hier wieder nur punktuell beleuchteten Wahlprogrammen, dass zwar manches kritisierbar ist an diesen Programmen, sie aber die klimapolitische Debatte auf der parlamentarischen Bühne durchaus bereichern könnten. Wiederum zeigt sich, dass mehr klima- und energiepolitischer Sachverstand in der politischen Arena vorhanden ist, als im nächsten Bundestag vertreten sein dürfte. Die Fünf-Prozent-Hürde, die diese Parteien vermutlich wieder aus dem Bundestag fernhalten wird, ist daher nicht nur ein allgemein demokratietheoretischer Skandal, sondern auch ein Ärgernis im Hinblick auf die Klimapolitik.

Wir behalten uns vor, auf entsprechende Hinweise hin auch noch die Programme anderer Kleinparteien auszuwerten und die Ergebnisse hier zu präsentieren.

 


 

[1]        https://sfv.de/aufs-kleingedruckte-achten

[2]        https://www.bundestagswahl-2021.de/parteien/#kleinparteien

[3]        https://www.bpb.de/politik/wahlen/wahl-o-mat/

[4]        https://mitglieder.klimaliste.de/articles/7yqqZ-zwoelf-direktkandidat-innen-der-klimaliste-rlp

[5]        https://mitglieder.klimaliste.de/candidatures/benje

[6]        https://www.klimaliste.de/programm

[7]        Quelle für dieses und die folgenden Zitate: https://www.oedp.de/programm/bundestagswahlprogramm-2021/klima-umwelt-und-artenschutz

[8]             https://assets.volteuropa.org/2021-06/Wahlprogramm%20Langversion.pdf

[9]             https://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2021/Wahlprogramm