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Die Energiewende in Deutschland hat Fortschritte gemacht, aber es besteht noch immer erheblicher Handlungsbedarf. Um 100% Erneuerbare Energien vorrangig dezentral umzusetzen, ist es wichtig, dass Akteure die Vorteile der gemeinschaftlichen Energiewende erkennen und Möglichkeiten haben, aktiv daran teilzunehmen. Bürgerinnen und Bürger müssen stärker in den Transformationsprozess einbezogen werden. Dies kann beispielsweise durch die Förderung des Eigenverbrauchs als Bürgerenergie, durch gemeinschaftliche Bürgerenergieprojekte mit dazugehöriger Teilhabe an kostengünstigen Stromlieferungen (Energy Sharing), aber auch durch die Einbindung der Bürger:innen in Vermarktungsprozesse geschehen. 

Gerade die lokale Vermarktung von Solarstrom über das öffentliche Netz kann ein wichtiger zusätzlicher Baustein für die bürgerschaftliche Energiewende sein. Durch den direkten Verkauf an die Nachbarschaft kann der lokale Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch unterstützt werden. Dies entlastet die Stromnetze und bringt finanzielle Vorteile.

 

1. Status Quo und Problemstellung

 

Momentan werden die meisten PV-Anlagen nur auf den Eigenverbrauch im Haus ausgelegt. Das ist ein toller Anfang, gleichsam aber bedauerlich, da möglicherweise solar nutzbare Flächen frei bleiben. Auch bleibt der geldwerte Vorteil des Eigenverbrauchs nur denjenigen vorbehalten, die eine Solaranlagen auf dem Einfamilienhaus installieren oder Solarstromlieferungen im Mehrfamilienhaus direkt vor Ort nutzen können. Neue Solaranlagen werden zudem zunehmend mit Speichern angeboten, um vor Ort noch unabhängiger von Strompreissteigerungen zu werden. Dass Stromspeicher den Eigenverbrauch, nicht aber zwingend die Wirtschaftlichkeit der Anlage erhöhen, kann man in vielen Beiträgen - auch von Verbraucherschutzorganisationen - nachlesen. Aber obwohl es aus Gründen der Ressourcenschonung gerechtfertigt wäre, auf bidirektional nutzbare Speicher aus der zunehmenden E-Auto-Flotte oder auf Gemeinschaftsspeicher (Quartierspeicher) zu setzen, ist ein Umsteuern noch nicht in Sicht. 

Der direkte Verkauf an die Nachbarschaft könnte eine weitere Chance bieten, für Betreiber:innen die gewünschten Zusatzeinnahmen zu generieren. Dies würde Anreize für die solare Vollbelegung von Dächern bieten und das Interesse an privaten Einzelspeichern neu ordnen. Auch eine zusätzlich generierte Netzentlastung wäre denkbar, wenn die belieferten Stromkund:innen ihren Stromverbrauch direkt an die solare Stromerzeugung anpassen. Wenn die Kostenanreize allerdings nicht aufgegriffen werden, bringt  die kaufmännische Verrechnung sinnvolle Vorteile. 

Einfache Solarstrom-Liefermöglichkeiten in die nächstliegende Nachbarschaft über das öffentliche Stromnetz und ohne preisbildende Strombörsenvermarktung existieren allerdings quasi nicht. Dabei wäre diese Möglichkeit wichtig: 

Sehr vielen Menschen bleibt der Zugang zur (eigenen) Solaranlage versperrt. Sie wohnen in Häusern, deren Dach nicht solar genutzt werden kann (Verschattung, Gauben, zu kleine nutzbare Flächen, erhöhte Denkmalschutzauflagen). Die wenigsten Wohnungen in Mehrfamilienhäusern verfügen über einen (sonnenverwöhnten) Balkon, an dem ein kleines Stecker-Solargerät einen Teil ihres Stromverbrauchs solar abdecken kann. Und viele Bewohner:innen verfügen schlichtweg über ein zu geringes Einkommen, um in Photovoltaik zu investieren.

Über die lokale Vermarktung innerhalb des angrenzenden Versorgungsnetzes können mehr Menschen an der Energiewende teilhaben. Doch dieser Weg bleibt durch regulatorische Vorgaben momentan noch versperrt. Der Grund: Sobald Solarstrom eingespeist wird, unterscheidet er sich nicht mehr vom Netzstrom. Das macht den einfachen nachbarschaftlichen Verkauf kompliziert, da in detaillierten Bilanzkreisen nachgewiesen werden muss, wie viele Kilowattstunden Solarstrom vom PV-Anlagenbetreiber:innen geliefert und quasi zeitgleich von dem Strombezugskund:innen bezogen werden. Diese Bilanzmethode muss auf Grundlage gesetzlicher Vorschriften viertelstündlich erfolgen. Netzauslastung und ein gegebenenfalls erforderliches Lastmanagement müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Der Aufwand ist also erheblich - vor allem deshalb, weil die Digitalisierung im Messwesen und damit der Einbau von intelligenten Messystemen (Smart Meter) noch in den Kinderschuhen steckt. 

Das bringt externe Dienstleister ins Spiel, die Bilanzkreise und die Regelbarkeit aufstellen und überwachen. Ohne deren Unterstützung ist eine nachbarschaftliche Vermarktung derzeit kaum umsetzbar. Für Nachbarschaftsstrom ist das keine Option, denn die zusätzlichen Kosten der Dienstleister für Abrechnung und Direktvermarktung machen den Verkauf unwirtschaftlich - ganz abgesehen davon, dass Direktvermarktungs-Unternehmen meist nur Anlagen mit klar kalkulierbaren Einspeisemengen und höheren Leistungen (ab 100 kW, selten darunter) in ihr Portfolio aufnehmen. Betreiber:innen von Solarstromanlagen im Megawatt-Bereich ohne Eigenverbrauch vor Ort haben kein Problem. Großinvestoren liefern bereits seit mehreren Jahren Solarstrom über direkte Lieferverträge an Unternehmen und Großkunden (Power Purchase Agreements = PPA). So können die Anlagen auch außerhalb der EEG-Förderung wirtschaftlich sicher betrieben werden. 

Die nachbarschaftliche Solarstrom-Vermarktung führt also in aller Regel in die Sackgasse. Private Kabel, die “über Gartenzäune” gespannt werden, sind keine Alternative. Diese Art der Kopplung von Hausanschlüssen ist messtechnisch problematisch, da sie zu Rückflüssen von Netzstrom - von Haus zu Haus - führen können. Sind Haushalte durch Leitungen galvanisch miteinander gekoppelt, kann nicht mehr sicher messtechnisch dargestellt werden, über welchen Stromzähler der Netzstrom und Solarstrom abgerechnet wird. Auch das Spannungsverhalten am einzelnen Netzanschlusspunkt wird schwerer kalkulierbar.

Wir plädieren deshalb für Vereinfachungen beim nachbarschaftlichen Solarstromverkauf über das öffentliche Netz. Diese Möglichkeit wäre - neben dem klassischen Energy Sharing innerhalb von Betreibergemeinschaften - ein weiterer notwendiger Baustein für die bürgerschaftliche Energiewende. Die Vorteile zusätzlicher, über das EEG hinausgehender Investitionsanreize sowie mögliche netztechnische Entlastungen über die Kopplung von Stromangebot und Nachfrage im Verteilnetz kurbeln den Klimaschutz auf kommunaler Ebene an.

Und ein weiterer Aspekt sei genannt: Es besteht ein mangelndes öffentliches Verständnis darüber, dass die Einspeisevergütung weitaus geringer ist als der Strombezugspreis. Auch wenn hier in aller Regel ausgeblendet wird, dass dem Strompreis zahlreiche Stromnebenkosten anhängen, so ist die Kritik dennoch verständlich. Immerhin können für Fossilstrom oft höhere Durchschnittspreise an der Börse (Intraday / Day ahead) erzielt werden, und Preissenkungen werden kaum an die Stromkund:innen weitergegeben. Und dann gibt es ja noch die zusätzlichen Subventionen für die klimaschädliche Produktion, z.B. für Braunkohle in Höhe von 4,5 Mrd. Euro pro Jahr. Dieser mangelnden Einsicht über die Höhe der Einspeisevergütung kann man unter anderem auch mit Möglichkeiten der regionalen Vermarktung gegensteuern.

 

 

2. Europäische Pläne

 

Aus den aktuellen EU-Richtlinien zur Förderung Erneuerbarer Energien geht hervor, dass die Teilhabe von Bürger:innen und Bürgern gestärkt werden soll. So sollen die Mitgliedsstaaten laut neuem Komissionsvorschlag zur EU-Binnenmarktrichtlinie (§ 15a) sicherstellen, dass "aktive Kunden" sich an der gemeinsamen Energienutzung beteiligen. Die Beteiligung soll - unbeschadet geltender Steuern, Abgaben und Netzentgelte - möglich werden. Dabei soll gemeinsam genutzte Elektrizität innerhalb eines Zeitraums mit dem gesamten gemessenen Verbrauch verrechnet werden. Als Abrechnungszeitraum soll ein Viertelstunden-Bilanzzeitraum gelten, der über intelligente Messsysteme (Smart Meter Gateway) möglich ist. 

Damit soll auch Projekten, bei denen ein Teil des Stroms für den Verkauf im Rahmen eines Strombezugsvertrags reserviert ist, die Möglichkeit zur Teilnahme gegeben werden. 

Bisher nicht zufriedenstellend ist die Einschränkung im o.g. EU-Kommissionsvorschlag sowie einem Kompromissvorschlag des Europäischen Parlaments, vereinfachte Lieferantenpflichten nur für eine installierte Kapazität von bis zu 10,8 kW und bei Mehrfamilienhäusern von bis zu 100 kW für vereinfachte Peer-to-Peer-Geschäftsvereinbarungen vorzusehen. Wir werden uns diesbezüglich weiterhin an die EU wenden, um eine Öffnung für möglichst alle Anlagengrößen zu erwirken. 

 

 

3. Lösungsideen zur Diskussion

 

Zunächst vorab: Die Vermarktung in der Nachbarschaft wird keine Sicherheit für den wirtschaftlichen Betrieb bieten. Daher ist es wichtig, dass die Einspeisung in das öffentliche Netz weiterhin vergütet wird, soweit der erzeugte Strom nicht an Dritte verkauft werden kann. Es ist entscheidend, dass die EEG-Förderung nicht ausgehöhlt oder abgeschafft wird. Die nachbarschaftliche Vermarktung muss freiwillig bleiben, denn die gesetzlich festgelegte Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz bleibt ein wichtiger und sicherer Investitionsanreiz für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland. Die Energiewende muss viel mehr Fahrt aufnehmen und darf keineswegs durch marktwirtschaftliche Risiken gefährdet werden.

Ein nachbarschaftlicher Stromhandel kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn er an vereinfachte Rahmenbedingungen - vor allem für Kleinanlagen - geknüpft wird. Diese müssen flexibel und transparent gestaltet werden, um den Ausbau Erneuerbarer Energien weiter voranzutreiben. Intelligente Messsysteme sind ein wichtiger Baustein, um Verbraucherinnen und Verbrauchern die aktive Teilnahme an den Elektrizitätsmärkten zu ermöglichen und Flexibilitätsleistungen zu erbringen. 

Wir möchten unseren Fokus auf folgende Grundbedingungen legen:

  1. regionale Vermarktungsmöglichkeiten für Solarstrom für alle Anlagengrößen - auch für kleine Dachanlagen - schaffen
  2. Anspruch auf gesetzliche Einspeisevergütung für eingespeisten, nicht vermarkteten Strom beibehalten
  3. Leicht umsetzbare Rahmenbedingungen festlegen:
  • Vereinfachte Abrechnungsverfahren auf Basis von Viertelstundenwerten
  • Höhe des Strompreises des in die Nachbarschaft gelieferten Solarstrom selbst bestimmen
  • Angebote von standardisierten Stromlieferverträgen schaffen
  • Reduzierung der Netzgebühren und Wegfall der Stromsteuer für nachweislich gelieferten Solarstrom

 

Es ist wichtig, mit Betreiberinnen und Betreibern von EE-Anlagen, Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Netzbetreibern in einen Austausch zu treten, um eine ausgewogene und nachhaltige Lösung für den nachbarschaftlichen Stromverkauf zu finden. Wir freuen uns auf einen regen Austausch zu diesem Thema.