Eine Klimaschutzorganisation wie der SFV muss im politischen Alltag immer wieder darauf hinweisen, was alles falsch läuft, wo es zu langsam oder gar in die völlig falsche Richtung geht. Frustrierende Nachrichten herrschen vor. Da kann der Eindruck entstehen, dass unsere Bemühungen vergebens und der Kampf um das Überleben der Menschheit bereits verloren sei. Doch es gibt auch die guten Neuigkeiten, die Momente der Hoffnung enthalten. Sie drohen oft unterzugehen im Meer an Enttäuschungen. Das ist aber ganz falsch, denn diese Neuigkeiten enthalten wichtige Hinweise darauf, wie wir einer Welt ohne Treibhausgas-Emissionen schneller näherkommen können. Dieser Beitrag ist deshalb den erfreulicheren Entwicklungen gewidmet, die sich im ablaufenden Jahr 2022 zugetragen haben.
 

Energiegesetzgebung der Bundesregierung

 

Die Bundesregierung hat 2022 viele energiepolitische Weichen falsch gestellt. Getrieben durch die Energieversorgungskrise infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, setzte sie auf LNG-Terminals, neue Pipelines und auf den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Darin stecken große Gefahren für das Klima und die Umwelt.

Aber dies sollte nicht verdecken, dass das Jahr 2022 auch insofern eine „Zeitenwende“ darstellt, als die Erneuerbaren Energien nun wieder gefördert statt – wie in den zwölf Jahren davor – ausgebremst werden. Im neuen EEG wurde in § 2 schriftlich festgehalten, dass Erneuerbare der öffentlichen Sicherheit dienen und im “überragenden öffentlichen Interesse” liegen. Das ist auch im juristischen Sinne von großer Bedeutung.

Die staatlichen Ausbaupfade für Photovoltaik- und Windkraftanlagen wurden gegenüber dem Vorgänger-Gesetz vervielfacht und die Einspeisevergütungen spürbar angehoben. Für die Solarenergie wurde die Förderkulisse erweitert. So kamen zahlreiche neue Flächen hinzu, auf denen Agrar- und Floating-Solaranlagen, Garten-PV und solare Parkplatzüberdachungen entstehen und gefördert werden sollen. Der Netzanschluss soll für Anlagen bis 30 kW ab sofort einfacher werden und Bürgerenergiegesellschaften teilweise von hinderlichen Ausschreibungsverfahren befreit werden. Weitere Verbesserungen folgten im Zuge der laufenden Gesetzgebung. So wurde die 70-Prozent-Leistungsbegrenzung für PV-Anlagen bis 25 kWp abgeschafft, um jede erzeugte Kilowattstunde Solarstrom für die Energiewende nutzbar zu machen.  Besondere Zustimmung erfuhr der jüngste Beschluss zur Umsatzsteuerbefreiung von Solaranlagen und der Wegfall der Einkommensteuerpflicht für PV-Anlagen bis 30 kWp.

Der SFV hat die gesetzgeberische Tätigkeit konstruktiv-kritisch begleitet, seit das Wirtschaftsministerium (BMWK) zuerst von einem „Osterpaket“ sprach. Manche der Verbesserungen dürften dieser Politikberatung durch den SFV und andere Organisationen der Zivilgesellschaft mit zu verdanken sein. Zur Zeit liegen dem BMWK zahlreiche Vorschläge zum weiteren Bürokratieabbau vor, die wir im SFV erarbeitet haben. Wir haben hierfür mehrfach positives Feedback aus dem Ministerium erhalten; nun gilt es am Ball zu bleiben, damit möglichst viele unserer Vorschläge umgesetzt werden. Denn die 2022 begonnene Beschleunigung der Energiewende kann nur ein erster Schritt gewesen sein: Nach vorläufigen Zahlen des Umweltbundesamtes werden 2022 mit etwa 256 Terawattstunden Strom durch Photovoltaik, Windkraft und Co. nur knapp 10 Prozent mehr als im Vorjahr produziert. Diese Entwicklung zeigt zwar, dass die gesetzgeberischen Änderungen erste zaghafte Wirkungen entfalten, aber das ist längst nicht genug. Wir erinnern uns: Die Zielsetzung der Bundesregierung war es, bis Ende des Jahres 269 Terawattstunden aus Erneuerbaren Energien zu erzeugen, um den Anteil von 80 Prozent am Endenergiebedarf im Strombereich bis 2030 zu schaffen. Es fehlen jetzt ca. 13 Terawattstunden.
 

Zubau an EE in Deutschland

 

Auch das andere Standbein der Vereinsarbeit des SFV, die Beratung für Betreiber:innen von PV-Anlagen, zeigt, dass die Entwicklung – wenn auch zu langsam – in die richtige Richtung geht. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der sich rasant ändernden Rechtslage wurden unsere Beratungsangebote intensiv genutzt, auch von anderen Verbänden. In diesem Zusammenhang haben wir offensichtlich den richtigen Zeitpunkt erwischt, mit unserer „packsdrauf“-Kampagne auch diejenigen Haushalte anzusprechen, für die PV noch ein Buch mit sieben Siegeln ist. Das Konzept wurde begeistert angenommen: 64 Partys mit insgesamt 1719 Teilnehmenden haben 2022 bundesweit stattgefunden, 137 fachkundige Botschafter:innen wurden bisher fortgebildet.

Der Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland, und gerade der Photovoltaik, ist kaum noch durch die Bereitschaft der Menschen zum Mitmachen begrenzt – sondern eher durch den Fachkräftemangel und durch Lieferengpässe bei den Komponenten. Hier rächt sich die Kahlschlagpolitik der früheren Bundesregierungen. Immerhin wurden 2022 von Januar bis einschließlich Oktober 5,5 GWp Photovoltaik zugebaut (neben kläglichen 2 GWp Windkraft). Das ist etwas mehr als im gesamten Jahr 2021. Aber da muss nun im kommenden Jahr erst das eintreten, was unser Bundeskanzler gerne mit dem Wort „Wumms“ umschreibt. Die Unterstützung der Bevölkerung ist dafür vorhanden, wie eine aktuelle Umfrage der Agentur für Erneuerbare Energien beweist: 86 Prozent der Befragten halten der Ausbau der Erneuerbaren Energien jetzt für wichtig, die allermeisten davon (66%) sogar für “sehr oder außerordentlich wichtig”.
 

Zubau an EE, weltweit

 

Auf globaler Ebene sieht es noch etwas erfreulicher aus. Der weltweite Ausbau der Erneuerbaren Energien war in diesem Jahr nach einer aktuellen Veröffentlichung der Internationalen Energie-Agentur um 30 % höher als noch vor einem Jahr prognostiziert. In den kommenden fünf Jahren werden die Erneuerbaren demnach für 90 % des weltweiten Zuwachses an Elektrizität verantwortlich sein. Die globale Kapazität an PV soll sich demnach bis 2027 fast verdreifachen.

In den USA wurde kürzlich der 430 Mrd. $ schwere „Inflation Reduction Act“ beschlossen. Es wird in Europa hauptsächlich unter dem Aspekt des Protektionismus und des „Handelskriegs“ diskutiert, weil nur in den USA gefertigte Produkte von ihm profitieren sollen. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass es sich um ein großes Konjunkturprogramm handelt, dessen größter Anteil in Elektroautos, Batterien und Projekte zu Erneuerbaren Energien, also in die Dekarbonisierung, fließen wird. Wie immer man zu der Idee eines „grünen Kapitalismus“ stehen mag: Die USA als einer der größten globalen Emittenten von Treibhausgasen sind jetzt nicht mehr der Totalausfall, der sie in der Regierungszeit von Donald Trump waren.
 

Kündigung des Energiecharta-Vertrags

 

Ende November beschloss die Bundesregierung, aus dem „Energiecharta-Vertrag“ auszusteigen. Dieser internationale Vertrag hat seit seinem Bestehen 1998 Energiekonzernen die Möglichkeit eingeräumt, vor privaten Schiedsgerichten Schadenersatz gegenüber staatlichen Umweltschutzmaßnahmen einzuklagen – Stichwort „Investitionsschutz“. Mit Berufung auf diesen Vertrag hatte z.B. der schwedische Atomkonzern Vattenfall anlässlich des deutschen Atomausstiegs eine Milliarden-„Entschädigung“ auf Kosten deutscher Steuerzahler:innen erstritten. Zuletzt hat der deutsche Energiekonzern RWE die Niederlande aufgrund dieses Vertrages verklagt; zuvor hatten die Niederlande einen Kohleausstieg bis 2030 beschlossen.

Es ist ein gutes Zeichen, dass die Bundesregierung dieses obszöne Vertragswerk endlich verlässt – auch wenn die Kündigungsfrist schmerzliche 20 Jahre beträgt. Vor Deutschland hatte bereits Italien den Ausstieg vollzogen und Spanien, die Niederlande, Polen, Frankreich, Slowenien und Luxemburg entsprechende Beschlüsse gefasst. Nun kommt es darauf an, dass die Europäische Union als Ganzes die Kündigung vollzieht.
 

Rheinisches Braunkohlerevier

 

Das Ende der Braunkohleförderung im Rheinland wurde auf das Jahr 2030 vorgezogen. Gewiss, das geschah in einem intransparenten Deal zwischen Bund, Land und dem RWE-Konzern; es soll auch per saldo nicht weniger Kohle verbrannt werden. Und das symbolisch so wichtige Dorf Lützerath wurde dem Deal geopfert.

Von symbolischer Wichtigkeit ist aber auch die Jahreszahl 2030. Wer erinnert sich nicht noch an die RWE-Bekundungen, dass eine solche Jahreszahl technisch und wirtschaftlich absurd sei! Bis in den Herbst 2018 hatte RWE übrigens behauptet, ein Verzicht auf die Rodung des Restes vom Hambacher Wald sei unmöglich: eine “Illusion”. Die Rodung sei zur Stabilisierung der Böschungskanten unverzichtbar. Nachdem der Verzicht dann doch durchgesetzt war, ließ RWE ins “Kohleausstiegsgesetz” eine Bestandsgarantie für den Tagebau Garzweiler schreiben – ein Todesurteil für die sechs bedrohten Dörfer. Fünf dieser Dörfer sind nun wohl endgültig gerettet, obwohl uns erzählt wurde, das sei völlig undenkbar! Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass wir so viel erreichen!? Die Lehre hiervon lautet: Es lohnt sich, für die Zukunft zu kämpfen. Mit dieser Einsicht geht es 2023 weiter um die Verteidigung des sechsten Dorfes: Lützerath.
 

Klimaaktivismus

 

Am Wichtigsten bei diesem Kampf gegen die Braunkohle, der auf vielen Ebenen geführt wird, sind die Aktivist:innen vor Ort, die heutigen Bewohner:innen von Lützerath mit ihren gewaltfreien Aktionen des zivilen Ungehorsams. Wir wissen noch nicht, ob die für Januar 2023 angekündigte Räumung und Zerstörung von Lützerath gelingt und was sie bringen wird. NRW-Innenminister Reul (CDU) hatte auch 2018 beim Hambi einen kurzfristigen Sieg errungen, der sich als Pyrrhussieg entpuppte: Wenige Tage nach vollzogener Räumung wurde der Rodungsstopp für den Wald gerichtlich besiegelt. Reuls Parteifreunde vor Ort in Erkelenz haben sich kürzlich erneut für den Erhalt von Lützerath ausgesprochen. Der Deutsche Bundestag tat dies bereits im Juli 2022. Es wird schon etwas kosten, sich über all das hinwegzusetzen und erneut hässliche Bilder der Polizeigewalt zu produzieren.

Im Bereich des Klimaaktivismus entstand 2022 eine neue Gruppierung: die „Letzte Generation“. Sie wird sehr kontrovers diskutiert. Wir haben uns mit dieser gewaltfreien Bewegung solidarisiert. Neben einigen sehr kritischen Stellungnahmen aus unserem Umfeld haben wir viel Zustimmung hierfür erhalten; so hören wir es auch aus unseren regionalen Infostellen.

Die Aktionsformen der „Letzten Generation“ sind provozierend und recht unangenehm für davon Betroffene. Das ist aber genau das Mittel, die Klimakatastrophe als Thema Nr. 1 unserer Zeit wieder in die Debatte zu bringen. Viele Berufspolitiker:innen und Medien haben versucht, nicht über die Anliegen der Gruppe zu sprechen, sondern nur über die Aktionsformen als solche. Das ist misslungen: Von Markus Lanz bis Anne Will konnten Vertreter:innen der “Letzten Generation" ihre Motive vor einem Millionenpublikum darlegen.

Die Bemühungen von Politikern, insbesondere der Union und der FDP, die „Letzte Generation“ zu kriminalisieren, sind höchstwahrscheinlich zum Scheitern verurteilt – ebenso wie der absurde Versuch der Staatsanwaltschaft Neuruppin, die Aktivist:innen als “kriminelle Vereinigung” zu verfolgen. Inzwischen haben Gerichte in Verfahren gegen Aktivist:innen begonnen, Klagen mit dem Hinweis auf einen rechtfertigenden Notstand abzuweisen (1, 2, 3, 4, 5). Dabei berufen sie sich auch auf das „Klimaurteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr 2021, das zuerst durch eine Verfassungsklage des SFV angestoßen worden war.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass 2023 das Jahr wird, in dem in Deutschland allgemeine Tempolimits beschlossen werden. Wir unterstützen die jungen Leute mit dem Schnellkleber bei diesem Ziel!
 

Abwahl von Bolsonaro in Brasilien

 

Auf der globalen Ebene sind nicht nur die positiven Signale aus den USA zu nennen, die wir bereits erwähnt haben. Auch die Präsidentschaftswahl in Brasilien am 30. Oktober 2022 zeigte, dass der Durchmarsch rechter, die Klimarealitäten leugnender Fanatiker gestoppt werden kann. Drei Jahre lang konnte Jair Bolsonaro, der „Nero Amazoniens“, die Zerstörung des tropischen Regenwalds im Amazonasbecken ins Unermessliche steigern; seine Abwahl ist ein Hoffnungsschimmer für das globale Klima.
 

Fazit

 

Gewiss: Auch unter Lula wird die Zerstörung am Amazonas nicht sofort enden. Und gewiss: 2022 brachte, nicht zuletzt in Europa, auch unerfreulichere Wahlergebnisse, auch für die Klimapolitik. Das Gesamtbild zeigt sehr widersprüchliche Entwicklungen. Aber das beweist doch, dass wir in Auseinandersetzungen mit offenem Ausgang stecken. Auf vielen Ebenen, das belegt das Jahr 2022 erneut, lohnt es sich, für die Rettung des Klimas zu kämpfen. Ohne Garantie für Erfolg; aber eben auch ohne Garantie für Misserfolg! Viele Menschen, die manchmal seit Jahrzehnten ehrenamtlich für die Energiewende unterwegs sind und ohne Rücksicht auf Hindernisse oder manchmal auch wirtschaftliche Nachteile Pionierarbeit für eine klimafreundliche Welt leisten, haben schon lange den Boden für die Erfolge der nahen Zukunft gelegt. Wir sind dankbar und stolz, dass viele dieser Menschen sich im SFV (nicht zuletzt in den regionalen SFV-Infostellen) engagieren.

Machen wir also 2023 zu einem weiteren Jahr der vielen kleinen und großen Erfolge im Klimakampf! Der Einsatz lohnt sich!