Das neue Konzept der "Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung" (GGV) soll es einfacher machen, Solarstrom innerhalb eines Gebäudes zu teilen. Mit dem Solarpaket 1, das am 16.5.2024 in Kraft getreten ist, werden die Grundzüge gesetzlich festgeschrieben. 

Das GGV-Konzept stammt ursprünglich aus Österreich und soll nun auch in Deutschland dazu beitragen, Solarenergie im Mehrfamilienhaus bürokratiearm zu nutzen. Wenn auf einem Gebäude Solarstrom erzeugt wird, sollen die Bewohner:innen oder Geschäfte diesen Strom direkt verwenden können. Der überschüssige, nicht verbrauchte PV-Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist und vergütet. Wichtig ist, dass sich die Solaranlagen und die Verbraucher:innen im gleichen Gebäudenetz befinden.

Die folgende Zusammenstellung von Regeln zur geplanten GGV ergibt sich aus dem neuen § 42 b EnWG. Aufgrund der Vielzahl von Nachfragen haben wir eine Übersicht für Sie zusammengestellt. 

1. Von den Nachbarn abgeschaut - noch in den Kinderschuhen

Das GGV-Konzept stammt ursprünglich aus Österreich. Dort gibt es bereits seit 2017 das Modell zur gemeinschaftlichen Energienutzung - die sogenannte Gemeinschaftliche Erzeugungsanlage. Bis Ende 2023 wurden bislang über 1300 österreichische Projekte realisiert. Auch Bürgerenergie-Gemeinschaften gehören dazu. Es gibt also reichlich Erfahrung bei der Umsetzung von gemeinschaftlichen Projekten. In Deutschland ist die GGV leider noch nicht in der Praxis angekommen. Wir wären also gut beraten, mit den Nachbarn zusammenzuarbeiten, um einen Startpunkt zu finden und Kinderkrankheiten zu umschiffen. Denn wer tiefer in die deutsche Gesetzgebung der GGV einsteigt und die aktuell sehr langsam vorangehenden Entwicklungen zur Umsetzung dieses Konzeptes recherchiert, merkt rasch, dass auch hier der sprichwörtliche “Teufel im Detail” steckt. 

Der Knackpunkt, an dem derzeit viele Akteur:innen scheitern, ist die befürchtete Komplexität der Abrechnung. Betreiber:innen von Photovoltaikanlagen, Haushalte, Netzbetreiber und Reststromlieferanten müssen nachvollziehbare und transparente Daten zum Solarstrombezug und -verbrauch austauschen. Die dafür notwendige "Marktkommunikation" und Digitalisierung der Messverfahren befindet sich jedoch noch in den Anfängen. Kaum jemand wagt den ersten Schritt, obwohl die gesetzlichen Regelungen zur GGV bereits in Kraft sind. Knapp ein Jahr nach der gesetzlichen Verankerung der GGV sind und nur wenige Pionierprojekte mit erfolgreicher Umsetzung bekannt.

Für alle, die sich dennoch mit diesem Modell befassen möchten, folgt hier eine kurze Zusammenfassung zur Methodik der GGV:

2. Grundsätze und Regeln für die GGV

Technisch wird die PV-Anlage als Volleinspeiseanlage angeschlossen. Die Verrechnung des bezogenen Solarstroms findet virtuell statt. Folgende Voraussetzungen müssen für die Umsetzung einer GGV erfüllt werden:

  1. Ort und Verbrauch müssen übereinstimmen: Der Solarstrom kann nur von Stromkund:innen genutzt werden, die sich in demselben Gebäude befinden, auf oder an dem die Solaranlage angebracht ist. Die Durchleitung durch das öffentliche Netz zu einem anderen Grundstück ist nicht zulässig.
  2. Viertelstündliche Messung erforderlich: Die Messung der Strommengen (Strombezug der Haushalte, Netzeinspeisung des Solarstroms) muss viertelstündlich über ein intelligentes Messsystem (iMSys) erfolgen.
  3. Es muss ein Gebäudestromnutzungsvertrag abgeschlossen werden: Die Teilnahme ist nicht verpflichtend. Eine Kopplung an einen Mietvertrag ist nicht zulässig. Der Reststrom der Haushalte wird wie gewohnt von frei wählbaren Energieversorgern geliefert. Alle Haushalte können sich frei entscheiden, ob sie an der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung teilhaben möchten und - sofern gewünscht - auch weiterhin vollständig aus dem öffentlichen Netz versorgt werden.
  4. Es muss ein Aufteilungsschlüssel definiert werden: Die Zuteilung des PV-Stroms erfolgt durch einen Aufteilungsschlüssel, der im Gebäudestromliefervertrag festgelegt und dem Netzbetreiber mitgeteilt wurde.Es kann zwischen der statischen und dynamischen Aufteilung entschieden werden.

Für den Solarstrom, der nicht zeitgleich vor Ort genutzt, sondern in das öffentliche Netz eingespeist wird, erhält der / die Anlagenbetreiber:in weiterhin die gesetzliche Einspeisevergütung vom Netzbetreiber. Es gibt keine Einschränkungen für die Speicherung von Solarstrom. Der Selbstversorgungsanteil kann damit deutlich gesteigert werden. Auch die Stromversorgung von Wärmepumpen, des Allgemeinstroms (Hauslicht, Fahrstuhl etc) oder Wallboxen für die E-Mobilität ist möglich. Diese weitreichenden solaren Nutzungskonzepte müssen in die Messkonzepte eingebunden und in den Abrechnungsschlüsseln berücksichtigt werden. 

3. Gebäudestromliefervertrag

Im Gebäudestromliefervertrag muss folgendes geregelt werden:
 

  • Ab wann startet die Belieferung?
  • Wie hoch ist der Preis pro gelieferte Kilowattstunde (Ct/kWh)?
  • Wie sind die Regeln zum Betrieb, zur Wartung und zum Erhalt der Solaranlage und wie werden die Zusatzkosten aufgeteilt?
  • Wie wird der erzeugte Solarstrom auf die verschiedenen Nutzer im Gebäude aufgeteilt (Aufteilungsschlüssel - statisch/dynamisch)?
  • Es wird klargestellt, dass mit der Solaranlage nur eine Teillieferung (keine Vollversorgung) ermöglicht werden kann.
  • Es wird klargestellt, dass ein ergänzender Stromvertrag mit einem Lieferanten notwendig ist, den jeder Strombezugskunde weiterhin selbst wählen kann.
  • Die Lieferzeit soll mindestens 2 Jahre betragen.
  • Es muss festgelegt werden, wie und in welchen Fristen der Vertrag gekündigt werden kann.
  • Nach §42b Abs.6 EnWG kann der Gebäudestromnutzungsvertrag auch durch einen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) ersetzt werden, wenn die WEG die Gebäudestromanlage betreibt.

Onlinevortrag: Mehrfamilienhaus Teil 1

Onlinevortrag: Mehrfamilienhaus Teil 2

Onlinevortrag: Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung

4. Abrechnungsprinzip

Die Abrechnung der Vor-Ort-Belieferung erfolgt durch den Messstellenbetreiber. Dies kann durch den örtlichen Netzbetreiber (grundzuständiger Messstellenbetreiber) oder ein Dienstleistungsunternehmen (wettbewerblicher Messstellenbetreiber) umgesetzt werden. Dabei wird der viertelstündlich gelieferte Solarstrom vom Reststrombezug der Wohnung oder Gewerbeeinheit abgezogen. Dadurch wird der Eigenverbrauch von Solarstrom in Mehrfamilienhäusern dem in Einfamilienhäusern gleichgestellt, während der Anlagenbetreiber nicht zum Stromlieferanten wird. Dies ist ein großer Vorteil.

Die teilnehmenden Wohneinheiten haben schließlich zwei Stromlieferverträge (WE 2-4 in unserer Grafik). Der bisherige Stromliefervertrag bleibt bestehen und wird durch die Solarstromlieferung ergänzt. Nicht teilnehmende Haushalte (WE 1) erhalten keinen Solarstrom und beziehen ausschließlich Reststrom ihres bisherigen Stromlieferanten.

Abrechnungsprinzip GGV

© SFV | Abb 1 – Die Abbildung zeigt eine beispielhafte Stromliefer-Vertragsumsetzung: gelb= Solarstrom, grün= Abrechnung für Solarstrom,  schwarz= Reststrom, blau= Datenübertragung über Smart Meter Gateway (SMGW)

5. Dynamische und Statische Aufteilung

Im Gebäudestromliefervertrag wird ein Aufteilungsschlüssel festgelegt. Dieser kann statisch oder dynamisch festgelegt werden.

Statische Aufteilung: Es wird als fester Anteil der je Viertelstunde gemessenen Strombezug pro Wohneinheit zugeteilt. Das kann anhand der Haushaltsgröße, der Wohnfläche oder der Zahl der Wohneinheiten erfolgen  (zum Beispiel je 25 % bei 4 Wohneinheiten (WE) ). Der vom Messtellenbetreiber erfasste prozentuale Anteil am Strombezug wird vom Messstellenbetreiber von der Stromrechnung abgezogen.

Die Abrechnung setzt voraus, dass intelligente Messsysteme (Smart Meter Gateway) eingesetzt werden. Diese Pflicht hätte aus Sicht des SFV in der Anfangszeit, wo intelligente Messsysteme noch nicht hinreichend verfügbar sind, auch ohne viertelstündliche Messung umgesetzt werden können. Das wäre eine deutliche Vereinfachung. Leider blieb diese Möglichkeit unbeachtet.

Beispiel: Statische Aufteilung

Solarstromlieferung von 12:00 Uhr - 12:15 Uhr  = 10 kWh 

1. Wohneinheit: Keine Solarstrom-Belieferung

2. Wohneinheit: Strombedarf im Haushalt 2 kWh
     - 2 kWh (=20 %) Solarstrom,
     - anteiliger Solarstrom-Überschuss von 1 kWh (=10 %) gilt als eingespeist 

3. Wohneinheit: Strombedarf im Haushalt 4 kWh
     - 3 kWh (=30%) Solarstrom,
     - 1 kWh Reststrombezug

4. Wohneinheit: Strombedarf im Haushalt 6 kWh
     - 4 kWh (=40%) Solarstrom,
     - 2 kWh Reststrombezug

GESAMT-Bilanz für diese 1/4 h
     - 9 kWh Solarstrom-Nutzung, 1 kWh Solar-Netzeinspeisung
     - 3 kWh Reststrombedarf

Über den gesamten Abrechnungszeitraum (1 Jahr) werden die so erfassten Strommengen jeweils als Solarstrom / Reststrombelieferung erfasst und abgerechnet.

Zuteilungsschlüssel GGV

© SFV | Abb 2 – Beispiel für die Verrechnung des statischen und dynamischen Zuteilungsschlüssel. Im betrachteten Zeitraum (12:00 - 12:15 Uhr) wurden 10 kWh Solarstrom erzeugt.

Dynamische Aufteilung: 

Die innerhalb eines 15-Minuten-Intervalls erzeugte PV-Strommenge wird entsprechend ihres jeweiligen Anteils am Gesamtverbrauch aller Teilnehmenden innerhalb des selben 15-Minuten-Intervalls den einzelnen Teilnehmenden zugeteilt. In Folge bekommen Teilnehmende mit einem höheren Stromverbrauch in dem jeweiligen 15-Minuten-Intervall eine höhere Strommenge zugewiesen als solche mit einem niedrigeren Stromverbrauch. Dadurch wird der gesamte Eigenverbrauch aller Teilnehmenden je 15-Minuten-Intervall automatisch maximiert. Das kann insbesondere vorteilhaft sein, wenn Wärmepumpen oder Elektroautos als Stromverbraucher eingebunden sind, da der Stromverbrauch hier zu anderen Zeitpunkten erfolgt als der sonstige Haushaltsstromverbrauch.
 

Beispiel: Dynamische Aufteilung

Solarstromlieferung von 12:00 Uhr - 12:15 Uhr  = 10 kWh 

1. Wohneinheit: keine Solarstrom-Belieferung

2. Wohneinheit: Strombedarf im Haushalt 2 kWh
     - 1,7 kWh Solarstrom, 
     - 0,3 kWh Reststrombezug

3. Wohneinheit: Strombedarf im Haushalt 4 kWh
     - 3,3 kWh Solarstrom,
     - 0,7 kWh Reststrombezug

4. Wohneinheit: Strombedarf im Haushalt 6 kWh
     - 5 kWh Solarstrom,
     - 1 kWh Reststrombezug

GESAMT-Bilanz für diese 1/4 h
     - 10 kWh Solarstrom-Nutzung, 0 kWh Solar-Netzeinspeisung
     - 2 kWh Reststrombedarf

Die 1/4h erfassten Strommengen werden in Summe über den gesamten Abrechnungszeitraum (z.B. 1 Jahr) abgerechnet. Der Aufteilungsschlüssel ändert sich in jedem Zeitntervall dynamisch anhand der verbrauchten Strommengen.

Die dynamische Zuteilung ist etwas komplexer, ermöglicht aber in der Regel einen höheren Eigenstromnutzen. Falls kein Verteilungsschlüssel vereinbart wird oder der vereinbarte Verteilungsschlüssel unwirksam sein sollte, ist der Strom zu gleichen Teilen auf alle Teilnehmenden zu verteilen.

6. Freie Wahl des Betriebskonzeptes weiter möglich

Die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist nur ein mögliches Betriebskonzept für die Verteilung und Abrechnung von Solarstrom im Mehrfamilienhaus. In einigen Haushalten bieten auch andere Betriebskonzepte ihre Vorteile. Alle Betreiber:innen von PV-Anlagen können das passende Betriebskonzept weiterhin selbst wählen. Hierzu zählen:

  1. Volleinspeisung
  2. Allgemeinstromversorgungs-Modell
  3. Einzelanlagen-Modell
  4. Nutzung von Balkonsolaranlagen
  5. Kollektives Eigenversorgungskonzept (Einzählermodell
  6. Einzelabrechnung mit oder ohne Mieterstromförderung
  7. NEU: Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung

Die unterschiedlichen Betriebskonzepte stellen wir Ihnen in einem weiteren Wiki-Beitrag vor.
 

7. Erste Erfolgsprojekte in Halle und Rheine

Lange hat es gedauert, bis erste Projekte der Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung in die Praxis umgesetzt wurden. Während einige Projekte von externen Dienstleistern (sogenannten Contractoren) umgesetzt wurden, sind uns bisher nur zwei Projekte in privater Hand bekannt. Sie kennen weitere Projekte? Melden Sie sich gerne bei uns - wir freuen uns, darüber zu berichten!

 

GGV in einem 6-Parteien Haus in Halle

In Halle (Saale) soll ab dem 1. Mai 2025 die möglicherweise erste Solarstromanlage auf einem Mehrfamilienhaus durch die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV) betrieben werden, die privat - also ohne Unterstützung eines externen Dienstleisters - abgerechnet wird. Die 15-kWp-Anlage versorgt ein 7-Parteien-Haus, darunter zwei Mieter, eine Arztpraxis mit Ladestation und Aufenthaltsraum, zwei Wohnungseigentümer sowie die Eigentümergemeinschaft. 

GGV in einem 3-Parteien Haus in Rheine

„Ich wollte zeigen, dass es funktioniert und als Vorbild für viele weitere Vorhaben dienen“. David Scherwitz, dreifacher Familienvater aus Rheine, Solarbotschafter für den Kreis Steinfurt und überzeugter Umweltschützer, hat mit seinem eigenen Mehrfamilienhaus einen bemerkenswerten Schritt gewagt: Er setzt nicht auf die klassische Volleinspeisung, sondern entschied sich bewusst für das Modell der Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung (GGV) – auch wenn dieses zum Zeitpunkt der Umsetzung noch Neuland für alle Beteiligten darstellte. 

8. Fazit

Die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist ein weiteres, schon jetzt in der Branche sehr beliebtes und häufig diskutiertes Modell, das den bürokratiearmen und einfachen Einstieg in Mieterstromversorgung anbieten soll. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die gesetzlichen Änderungen in der Praxis rasch umsetzbar sind. Netzbetreiber signalisieren weiterhin, dass der Mangel an intelligenten Messsystemen, Fachkräften und Abrechnungssystemen zu Verzögerungen führen könnte.

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